Mal biste Fels, mal biste Pudding

„Du bist ihr Fels“, schrieb der Mann mir, als ich ihm kürzlich ein Bild unserer Mittagsschlaf-Situation ins Büro schickte. Ein Kind lag sehr wirbelsäulenfreundlich rücklings quer über meinem Bauch, das andere bäuchlings auf meiner Brust. Ja, offenbar bin ich derzeit eine wichtige, haltgebende Instanz. 

Auch wenn ich mich an vielen Tagen wie ein Affenfelsen fühle, der von früh bis spät vom kleinen Klammerprimaten beklettert wird. Eine Liane wäre ganz nützlich, dann könnten sie sich selbst hinaufschwingen, das wäre sicherlich gelenkschonender für mich. Weil ich aber eh wie ein Orang-Utan-Weibchen die meiste Zeit des Tages auf dem Fußboden verbringe, können mich die Zwillbos meist ganz eigenständig erklimmen – und tun das auch. Manchmal bin ich selbst erstaunt, dass mir die Massivität der körperlichen Nähe nicht viel öfter zu viel wird. Es gibt diese Tage, da langt es mir dann nachmittags irgendwann. Dann möchte ich nicht, dass mir zwei Hände in den Haaren, eine dritte am T-Shirt und eine vierte in der Kaffeetasse hängt. Dann kann ich das nicht mehr gut haben. 

Nähebedürfnis respektieren

Ich sage das meinen Kindern auch. Zumindest bitte ich sie bestimmt, ihre oberen Extremitäten aus meinem Heißgetränk heraus zu nehmen und mir nicht an den Haaren zu ziehen. Die Nähe bleibt, aber eben etwas eingeschränkt. Ich denke, das ist für alle Beteiligten ok, weil die Zwillbos so auch lernen, die körperliche und koffeeinliche Integrität ihrer Mitmenschen zu achten. 
Ich wiederum versuche, ihr Nähebedürfnis zu respektieren und zu befriedigen – es muss ja nicht immer ganz oder gar nicht sein. 

Occupy Mama.

Pepe könnte sich schon noch vorstellen, 75 Prozent des Tages durchs Leben getragen zu werden. Aber dafür ist er mir schlichtweg zu schwer. Deshalb hocken wir viel gemeinsam auf dem Boden, und sein Bruder gesellt sich dazu, wann immer er nichts wichtigeres zu tun hat. Das hindert Pepe oftmals nicht daran, mich lautstark zu kritisieren, wenn ich es wage, mich mit ihm auf dem Arm niederzulassen. Ich denke allerdings, mit der Einschränkung an Höhe kann er leben. Eine Einschränkung der Nähe halte ich für kritisch, zumindest wenn sie so entschlossen eingefordert wird. Denn es handelt sich dabei um ein Bedürfnis. Die Kinder BRAUCHEN das einfach. Und ist das ein Wunder in dieser oft so beknackten, furchteinflößenden Welt, an deren Tempo, Lautstärke und Verrücktheit wir zuweilen schon ganz stumpf geworden sind? 

Unter anderem dieses Bewusstsein ermöglicht es mir an anstrengenden Tagen, ihnen diese Nähe zugeben. Nicht immer gleich gerne, aber schon bereitwillig. Oder umgekehrt. Denn Bedürfnisse, die befriedigt werden, sind irgendwann erfüllt und vorerst gestillt. Oder umgekehrt. Außerdem mache ich mir gelegentlich bewusst, wie begrenzt diese Zeit der Nähe doch sein wird. Noch ist es mein Vorrecht, ihr Fels zu sein – physisch und psychisch. Es ist anstrengend, aber es ist auch ein Privileg. 

Plüsch-Schlange in der Nase

An manchen Tagen bin ich allerdings nicht so massiv, wie man sich einen ordentlichen Felsen vorstellt. Dann habe ich wenig oder schlecht geschlafen. Dann bin ich krank oder mies gelaunt. Dann bin ich eher aus Blätterteig: Die vermeintlich feste Hülle beginnt beim kleinsten Piekser zu bröseln und am Ende des Tages kann man mich dann auf dem Küchenboden zusammenfegen und recyceln. Oder ich fühle mich wie Wackelpudding. Solche Tage beginnen meist damit, dass ich vorzeitig von einem der Kinder geweckt werde. Neulich bin ich etwa davon aufgewacht, dass man damit begann, mir Teile einer Plüsch-Schlange in die Nase zu schieben. Und zwar zu einer Uhrzeit, zu der ich meistens noch nicht einmal sagen kann, wie ich heiße.

 

Schön war es damals in der Nachrichtenredaktion. Gegen 11 Uhr habe  einen ersten Blick in den Agentur-Ticker geworfen – vorausgesetzt, ich musste keinen an Unmenschlichkeit grenzenden Frühdienst absolvieren. Das heißt, bis ich im Büro angekommen war, hatte ich wundervolle Stunden, in denen ich mit niemandem zu sprechen brauchte. Herrlich war das. Jetzt bin ich morgens froh um jede Minute, in der ich ohne die Nachkommenschaft wach sein kann, um mich zu sammeln. Manchmal tue ich auch noch so als würde ich schlafen oder als wäre ich gar nicht da. Allerdings fliege ich meistens ziemlich schnell auf. Lautlos zu bleiben, wenn einem jemand ein dickwandiges Bilderbuch gegen die Schläfe haut, ist gar nicht so einfach. An solchen Tagen muss ich mein System binnen Sekunden aus dem Negativbereich auf nahezu volle Leistungsfähigkeit hochfahren. Ich hasse sie. 

Ich bin dann weich im Kopf und in den Knien, und wenn die Zwillbos mies drauf bin, dauert es mehr Zeit als ich eigentlich für lebenserhaltende Maßnahmen habe, um mich bis zur Kaffeemaschine durchzuschlagen. „Bitte, bitte, bitte“, habe ich hier schon bettelnd auf dem Fußboden gesessen, „bitte lasst die Mama mal eben einen Kaffee kochen!“ Mit ausreichend Koffein und Zucker schaffe ich es aber auch an Wackelpudding-Tagen irgendwie, meine Form zu finden. Es hilft ja nichts. Wenn ich Glück hab, sitzen im Baum vor unserem Küchenfenster ein paar Tauben. Dann haben die Zwillbos begleitend zu ihrer Marmeladen-Stulle ganz große Unterhaltung. An noch gnädigeren Tagen ist der Himmel wolkenlos und wir können ein paar Flugzeuge beobachten oder ein Eichhörnchen bequemt sich in Sichtweite. Dann muss ich eigentlich nur darauf achten, dass die Intervalle zwischen den Brotstücken, die ich anreiche, nicht zu groß werden, und kann mich einigermaßen in Ruhe an meiner Tasse festhalten. 

Frische Luft zum Überleben

Wenn das Gartenkino nichts Interessanteres als mich im Programm hat, wird es hart. Dann muss ich da irgendwie durch. Dann muss ich tapfer sein, bis wir es irgendwie nach draußen geschafft haben und ich frische Luft atmen darf. Aber irgendwie geht es. Immer. Und wenn mir jeglicher Versuch, die Jungs in eine einigermaßen schickliche Tischkultur einzuführen, zu anstrengend ist, dann essen wir halt auf dem Fußboden. Dann gibt’s Stullen zwischen Spielzeugkiste und Spülmaschine. Dann lehne ich mit dem Rücken am Schrank und balanciere ein Brettchen und zwei Kleinkinder auf mir. Dann bin ich doch wieder Fels. Zwar ungekämmt und leicht steinschlaggefährdet, aber Fels.

8 Kommentare Gib deinen ab

  1. Ich liebe dich! Für deine Schreibe, deinen Humor und deine Ehrlichkeit!!! Du kannst noch aus dem beschissensten Tag fünf Minuten zum Lachen hervorzaubern! Und Pudding …. ist was Leckeres 🍮

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    1. doppelkinder sagt:

      Ich dich auch! Für alles und wegen allem 😘

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  2. celiablueberry sagt:

    Soooo großartig geschrieben 😊 Vielen Dank, dass du uns teilhaben lässt und man sich auch mit “nur“ einem Kind direkt in der Beschreibung wiederfindet.
    Tischkultur und gekämmte Haare werden im Allgemeinen überbewertet. An Pudding-Tagen sowieso.
    Viele liebe Grüße

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    1. doppelkinder sagt:

      Danke, das freut mich sehr! Und ich bin sehr beruhigt, dass auch andere Mütter diese Tage und Zeiten kennen! 🙂

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  3. Anika sagt:

    Du beschreibst meinen Alltag auf wunderbare Weise. Auch wenn ich mir so manches Mal große Sorgen um den dicken Bauch mache, der beim Fels sein regelmäßig bestiegen wird. Und die Tage, an denen man mich abends als Häufchen vom Boden auflesen kann, kenne ich genauso gut. Ein Hoch auf deine Ehrlichkeit

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    1. doppelkinder sagt:

      Danke! Huiiii, ein Bauch mit Baby-Nachschub? Alles Liebe!

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      1. Anika sagt:

        Jaaaaa, völlig überraschend und ungeplant. Danke schön

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      2. doppelkinder sagt:

        Oh toll!!!! Alles, alles Gute!!!!

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